Originalausschnitt aus dem Hildebrandslied
Text (althochdeutsch)

(01.) Ik gihorta ðat seggen,
ðat sih urhettun ænon muotin,
Hiltibrant enti Haðubrant untar heriun tuem.

(02.) sunufatarungos iro saro rihtun,
garutun sê iro guðhamun, gurtun sih iro suert ana,
helidos, ubar hringa do sie to dero hiltiu ritun.

(03.) Hiltibrant gimahalta, [Heribrantes sunu,] her uuas heroro man,
ferahes frotoro; her fragen gistuont
fohem uuortum, hwer sin fater wari
fireo in folche,

(04.) «eddo hwelihhes cnuosles du sis.
ibu du mi enan sages, ik mi de odre uuet,
chind, in chunincriche: chud ist mir al irmindeot.»
Hadubrant gimahalta, Hiltibrantes sunu:

(05.)«dat sagetun mi usere liuti,
alte anti frote, dea erhina warun,
dat Hiltibrant hætti min fater: ih heittu Hadubrant.
forn her ostar giweit, floh her Otachres nid,
hina miti Theotrihhe enti sinero degano filu.
her furlaet in lante luttila sitten
prut in bure, barn unwahsan,
arbeo laosa: her raet ostar hina.
des sid Detrihhe darba gistuontun
fateres mines. dat uuas so friuntlaos man:
her was Otachre ummet tirri,
degano dechisto miti Deotrichhe.
her was eo folches at ente, imo was eo fehta ti leop:
chud was her rihto chonnem mannum.

(06.) ni waniu ih iu lib habbe»
«wettu irmingot, quad Hiltibrant obana ab hevane,
dat du neo dana halt mit sus sippan man
dinc ni gileitos»

(07.) want her do ar arme wuntane bauga,
cheisuringu gitan, so imo se der chuning gap,
Huneo truhtin: «dat ih dir it nu bi huldi gibu.»
Hadubrant gimahalta, Hiltibrantes sunu:

(08. + 11.) «mit geru scal man geba infahan
ort widar orte.
du bist dir, alter Hun, ummet spaher,
spenis mih mit dinem wortun, wili mih dinu speru werpan.
pist also gialtet man, so du ewin inwit fortos.
dat sagetun mi seolidante
westar ubar wentilseo, dat inan wic furnam:

(9.) tot ist Hiltibrant, Heribrantes suno.»
Hiltibrant gimahalta, Heribrantes suno:

(10.) «wela gisihu ih in dinem hrustim,
dat du habes heme herron goten,
dat du noh bi desemo riche reccheo ni wurti. –
welaga nu, waltant got», quad Hiltibrant, «wewurt skihit.
ih wallota sumaro enti wintro sehstic ur lante,
dar man mih eo scerita in folc sceotantero:
so man mir at burc enigeru banun ni gifasta,
nu scal mih suasat chind suertu hauwan,
breton mit sinu billiu, eddo ih imo ti banin werdan.
doh maht du nu aodlihho, ibu dir din ellen taoc,
in sus heremo man hrusti giwinnan,
rauba birahanen, ibu du dar enic reht habes.» -

(12.) «der si doh nu argosto quad Hiltibrant ostarliuto,
der dir nu wiges warne, nu dih es so wel lustit,
gudea gimeinun: niuse de motti
hwerdar sih hiutu dero hregilo rumen muotti,
erdo desero brunnono bedero uualtan.»

(14.) do lettun se ærist asckim scritan,
scarpen scurim: dat in dem sciltim stont
do stoptun to samane staimbort chludun,
heuwun harmlicco huitte scilti,
unti im iro lintun luttilo wurtun,
giwigan miti wabnum

(17.) „ach mutter, liebe mutter min,
nun beut im zucht und ehr!“
do hub sie auf und schenket in
und trug ims selber her;
was het er in seim munde?
Von gold ein fingerlin,
das ließ er in sin becher sinken
der liebsten frawen sin.

Die Nummern in Klammern und die entsprechenden Zeilen kennzeichnen
die einzelnen Teile und deren Namen des Oratoriums.

13. und 16. sind instrumentale Kampfteile.
15. ist eine Reprise, die vorherige Texte wiederholt.
Nachdichtung für „hadubrant“ von Arnold Fritzsch

(01.) Ich hörte die Sage,
dass sich zwei Krieger gegenüber standen,
Hiltibrant und Hadubrant zwischen zwei Heeren.

(02.) Sohn und Vater vom gleichen Blute, rückten ihre Rüstung,
strafften ihre Panzer und gürteten ihre Schwerter an,
die Helden, über die Panzerringe, da sie zu dem Kampf ritten.

(03.) Hiltibrant, Heribrantes Sohn, begann – er war der ältere Mann,
und der Weisere, er fragte mit
wenigen Worten, wer sein Vater sei,
aus welchem Volk stammend,

(04.) „oder welchem Geschlechte zugehörig.
Wenn du mir einen sagst, weiß ich, wer die anderen sind,
Kind im Königreiche: bekannt ist mir alles Volk.“
Hadubrant, Hiltibrantes Sohn, antwortete:

(05.) „Das sagten mir unsere Leute,
alte und weise, die früher waren,
dass Hiltibrant mein Vater hieß. Ich heiße Hadubrant.
Er sei nach Osten gezogen, geflohen vor Odoakers Neid,
zusammen mit Theoderich (Dietrich von Bern) und vielen seiner Krieger.
Er verließ das Land, ließ sitzen
Frau und Kind, ohne Schutz und Erbe,
verlassen, er ritt nach Osten hin.
Denn Dietrich brauchte
meinen Vater, er hatte keine Freunde.
Er war Odoakers ärgster Feind,
Genau wie Dietrich, dem er treu diente.
Er war immer dem Volk voran. Ihm war jeder Kampf recht.
Bekannt war er den tapfersten Männern.

(06.) Ich glaube nicht, dass er noch lebt.“
„Das weiß Gott“, sprach Hiltibrant, „oben im Himmel,
dass du niemals einen so nahen Verwandten
zum Gegner hattest.“

(07.) Darauf wand er Ringe vom Arm,
aus Kaisergold gemacht, wie sie ihm der König gab,
der Hunnentribun, „Damit huldige ich dir.“
Hadubrant, Hiltibrantes Sohn, entgegnete aber

(08. + 11.) „Mit dem Speer soll ein Mann solche Gaben aufnehmen,
Spitze wider Spitze.
du bist dir, alter Hunne, sehr sicher,
wiegst mich mit deinen Worten, willst mich mit deinem Speer werfen.
Bist ein so alter Mann, so voller Hinterlist.
Das sagten mir Seefahrer,
westwärts übers Meer gekommen, dass ein Kampf ihn tötete:

(09.) tot ist Hiltibrant, Heribrantes Sohn.“
Hiltibrant, Heribrantes Sohn, sagte da:

(10.) „Wohl sehe ich an deiner Rüstung,
dass du zuhause einen mächtigen Herrn hast
und dass du wegen dieses Herren, nie verbannt wurdest.
Wehe nun, waltender Gott, sprach Hiltibrant, Wehgeschick geschieht.
Ich war sechzig Sommer und Winter außer Landes,
da man mich immer unter die Speerschützen stellte
und mich vor keiner Burg tödlich traf,
nun soll mein eigenes Kind mit dem Schwert mich erschlagen,
mich mit seiner Waffe zu Boden strecken oder ich ihm zum Mörder werden.
Doch magst du nun leicht, wenn deine Kraft reicht,
von einem so alten Krieger die Rüstung gewinnen,
die Beute dir rauben, wenn du irgendein Recht darauf hast.“

(12.) „Der wäre nun der Feigste“, sprach Hiltibrant, „unter den Ostleuten,
der dir den Kampf verweigern wollte, da du so darauf brennst,
den Kampf zwischen uns. So versuche nun,
wer von uns beiden den Harnisch verlieren muss,
oder welcher von uns beide Panzer gewinnen wird.“

(14.) Da ließen sie erst die Eschenlanzen
schwirren, mit einem harten Stößen, dass sie sich tief in die Schilde gruben.
Dann ließen sie ihre Steinäxte aufeinanderprallen.
Hieben harmvoll auf die weißen Schilde,
bis das Lindenholz zu Spänen zerfiel,
zerschlagen mit Waffen….

(17.) Ach Mutter, liebe Mutter mein,
ich entbiete ihm Respekt und Ehre.
Da hob sie ihn auf und schenkte ein
und trug es ihm selbst hin.
Was hatte er in seinem Munde?
Einen Ring aus Gold,
den ließ er in den Becher sinken
für seine liebste Frau.



Das Hildebrandslied ist eines der frühesten poetischen, deutschen Textzeugnisse aus dem 9. Jahrhundert. Es ist der einzige Text eines altgermanischen Heldenlieds in der deutschen Literatur, wenn nicht sogar das älteste, erhaltene germanische Heldenlied. Das heldenepische Stabreimgedicht mit 68 Langversen ist in althochdeutscher Sprache geschrieben und entstammt aus dem Sagenkreis um Dietrich von Bern. Es erzählt die Geschichte eines Vaters, Hildebrand, der Frau und Sohn zurückließ um in den Krieg zu ziehen und nun, nach 30 Jahren seinem ausgewachsenen Sohn unwissentlich im Kampf gegenüber steht.

An der Grenze zwischen zwei Heeren stellt sich ihm dieser junge Krieger namens Hadubrand in den Weg. Der Alte fragt ihn wer sin fater wari (wer sein Vater wäre). So erfährt Hildebrand, dass er seinem eigenen Sohn vor sich hat und versucht sich mit Geschenken, wie goldenen Armringen, dem jungen Mann väterlich zu nähern. Empört wird er von Hadubrand zurückgewiesen, da er behauptet von einem Seefahrer zu wissen, dass sein Vater tot sei: tot is hiltibrant. Der stolze Sohn fasst die Geschenke des listigen Alten, der sich als sein Vater ausgibt sogar als feiger Verrat an der Ehre des totgeglaubten Hildebrands auf und fordert ihn durch wütende Beleidigungen der Ehre und Tapferkeit zu Kampf auf. Der alten Sitten wegen, sieht sich Hildebrand nun gezwungen sich, zur Rettung seiner eigenen Ehre, dem Kampf zu stellen.

Der kriegserfahrene, weise Mann beklagt mit den Worten “welaga nu, waltant got, wewurt skihit”; (“Wehe, waltender Gott, ein schlimmes Schicksal nimmt seinen Lauf!”) seine bevorstehenden Kampfniederlage oder die seines Sohnes. An dieser Stelle bricht das alte Gedicht des unbekannten, germanischen Poeten ab und lässt es dem Leser offen, wie der Kampf zwischen Vater und Sohn, zwischen ihren beiden Heeren ausgehen mag. Arnold Fritzsch verwendet für das Finale die Schlussstrophe des jüngeren Hildebrandsliedes (15. Jahrhundert). Der Vater siegt, aber das Lied endet nicht mit dem Tod des Sohnes, sondern mit der Versöhnung der Eltern.


ach mutter, liebe mutter min,
nun beut im zucht und ehr!
do hub sie auf und schenket in
und trug ims selber her.